Die Vergnügungsreise

Humoreske von Teo von Torn.
in: „Düna-Zeitung” vom 21.08.1904,
in: „Stralsundische Zeitung”, Sonntagsbeilage, vom 11.03.1906


Wer sich mit drei nRohrplattenkoffern, einer rindledernen Handtasche, zwei Hutschachteln und einem Soxhlet-Apparat zum ersten Male in einer Dampferkabine allein sieht, der wird dieselbe unglückliche Figur machen wie der Fabrikbesitzer Josef Blinck aus Graslitz im Erzgebirge.

Je länger Herr Blinck die äußeren Proportionen seiner zu einem Berge aufgetürmten Habe mit dem Raume verglich, der nun für vierzehn Tage sein Heim sein sollte, desto ratloser wurde er. Hätte ihn jemand vor die Preisfrage gestellt, eine ausgewachsene Elefantenfamilie in einem Papageienkäig oder die Blincksche Wäschefabrik in einer Zigarrenkiste unterzubringen — er hätte nicht verzagter dreinschauen können.

Glücklicherweise war er nicht der Mann, gegen Unmöglichkeiten bis zur völligen Erschöpfung anzuringen. Das erlaubte ihm seine Konstitution nicht, welche ein wenig kurzatmig, nervös und apoplektisch war.

Vor ein paar Tagen natte er sich überzeugt, daß die holländische Geschäftswelt eine entschiedene Abneigung gegen seine neuen, 7 Ztm. hohen Stehumfallkragen bekundete. Die Holländer waren wohl von Natur zu kurzhalsig für diese schöne Mode. Hauptsächlich aber hatte das Fiasko daran gelegen, daß ein findiger Konkurrent — Benedictus Niedermeyer aus Tetschen — immer eine Tagesreise vorausgewesen war und mit seinen niedrigen Kragen und noch niedrigeren Preisen den Rahm abgeschöpft hatte. Josef Blinck hatte geschworen, den Kerl zu erwürgen, sobald er ihn erwischte. Da es aber nicht ausgeschlossen war, daß er ihm wirklich begegnete, hatte er es vorgezogen, das Feld zu räumen. Er hatte sich ein halbes Pfund Pfeffermünzplättchen, eine blaue Tuchmütze und ein Prismenfernrohr gekauft und seine Gattin telegraphisch verständigt, daß er eine Vergnügungsreise antreten werde. Frau Elfriede Blinck hatte nicht minder telegraphisch erwidert, daß sie ihn auf dieser Reise gern begleiten und binnen achtundvierzig Stunden in Rotterdam eintreffen werde.

Dadurch bekam die Sache natürlich ein anderes Gesicjt — um so mehr, als Madame auch das Baby und dessen Amme mitbrachte zur Beteiligung an der Vergnügungsreise. Herr Blinck war gezwungen, die für sich belegte gute Kabine seinen Angehörigen und der Amme zu überlassen. Zur Not bekam er noch einen billigeren, wenig bequemen Platz. Dafür aber genoß er die Vergünstigung, den Hauptteil des Reisegepäcks bei sich unterbringen zu dürfen.

Es ist ohne weiteres klar, daß ein Mann, der sich mit solchen überraschenden Zwischenfällen ziemlich gefaßt abgefunden, auch in anderen schweren Lagen nicht gleich den Kopf verliert.

Er ließ sich also durch die Sorge um den Chimborasso von Gepäck nicht weiter beirren und sah sich in seiner Wohnung um — soweit dieselbe nicht verbaut war. Mit der Gründlichkeit eines Menschen, der Muße hat, ein ihm völlig neues Milieu zu studieren, betastete und untersuchte er alles. Da war znächst ein emaillierter Spucknapf, der seine Aufmerksamkeit dadurch erregte, daß er überraschend hoch am Bettpfosten angebracht war. Spucknäpfe pflegt man sonst in eine Ecke zu stellen. Dieser aber hatte einen geradezu aufdringlichen Platz. Merkwürdig! Ein anderer Gegenstand, den Herr Josef Blinck ohne weiteres als einen Ventilator ansprach, setzte sich auf eine leise Berührung sofort in die rasendsten Umdrehungen und war durch nichts zu bewegen, den Betrieb einzustellen. Herr Blinck mußte die blaue Tuchmütze aufsetzen, um sich die Platte nicht zu erkälten. Letztere war leider bereits so stark ausgeforstet, daß er einen anderen Apparat — eine elektrische Haarbrennmaschine — als unverwendbar beiseite stellte. — Dagegen erregte eine Abbildung, welche das Anlegen der in jeder Kabine vorhandenen Korkwesten veranschaulichte, sein lebhaftes Interesse. Er probierte gleich eine an — und eben wollte er als sorglicher Vater feststellen, ob auch für Säuglinge ein solcher Apparat vorgesehen war, als ein polterndes Geräusch draußen ihn aufschreckte.

Gleich darauf öffnete sich die Tür und ein bis über die Nasenspitze mit Paketen beladener Herr schaute hinein.

„Uff —” ächzte er. „Ist das ein Gewürge im Gebirge! Aber da wären wir endlich — —”

„Erlauben Sie mal,” wandte Josef Blinck ein, indem er mit seiner, durch die Korkweste noch bedeutend erweiterten Front die schmale Tür verstellte; „Sie gehen hier falsch!”

Einen Moment schaute der Fremde verdutzt auf die Nummer an der Tür, dann schüttelte er mit überlegenem Lächeln den Kopf und drängte vorwärts.

„All right. Ich gehe richtig — so richtig, wie ein frisch geölter Schiffschronometer: Wenn Sie mir nur die Gefälligkeit erweisen wollten — —”

„Aber bester Herr, das ist doch unmöglich! Sie müssen sich irren!”

„Ich ire mich nie,” erwiderte der Fremde. Dabei drängte er unentwegt gegen den Eingang.

„Hier ist Kabine 68!”

„Ganz recht. Das ist auch meine Nummer. Ich habe ein wundervolles Zahlengedächtnis. Da mir aber nun bereits beide Arme eingeschlafen sind, gestatten Sie wohl, daß ich näher trete.”

Tatsächlich gelang es ihm, sich durch die Tür zu zwängen. Leider geschah das etwas unvorsichtig. Er übersah die hohe Schwelle, stolperte und fiel mit seiner ganzen Package gegen Herrn Josef Blinck. Dieser gab den Stoß an den Chimborasso weiter und war im nächsten Moment unter einer Lawine — bestehend aus einer rindledernen Handtasche, zwei Hutschachteln und einem Soxhlet-Apparat — begraben.

Obwohl die Wucht dieser fallenden Gegenstände durch Mütze und Korkweste im einzelnen ziemlich abgeschwächt war und der Fremde sich in Entschuldigungen erschöpfte, war die Geduld des Herrn Blinck zu Ende. Seine Konstitution gestattete ihm das eigentlich nicht — aber er schäumte vor Zorn. Namentlich, als der Kabinen-Steward, den der Lärm herbeigelockt, bestätigte, daß der fremde Herr einen wohlbegründeten Anspruch auf das zweite Bett und die Hälfte des Raumes habe.

Das war zuviel. Josef Blinck hatte es über sich ergehen lassen, daß man ihm die holländische Kundschaft abgegrast; er hatte nicht gemurrt, als seine Gattin sich entschlossen, ihn auf dieser Vergnügungsreise zu begleiten; auch nicht, als sie das Baby mitgebracht und die Amme. Widerspruchslos hatte er seine gute Kabine abgegeben und dieses Loch dafür eingetauscht. Jetzt aber sollte er es auch noch teilen?!

Einen Raum, nicht größer wie eine Telephonkammer, auf 14 Tage als Wohnung teilen mit einem Menschen, der noch dicker wie er selbst und außerdem gewalttätig schien?! Das war zuviel!

In wilden Sätzen stürmte er hinaus und an Deck. Auf der Treppe zur Kommandobrücke trat ihm ein Offizier entgegen, der den Mann mit der Korkweste äußerst befremdet musterte.

„Wohin wollen Sie, mein Herr?”

„Zum Kapitän! Ich muß zum Kapitän!”

„Sie dürfen die Kommandobrücke nicht betreten, mein Herr. Das steht hier deutlich angeschrieben.”

„Was da angeschrieben steht, ist mir Wurscht! Ich muß den Kapitän sprechen! Rufen Sie mir den Kapitän!”

„Ich bedaure sehr. Im Augenblick ist das nicht möglich. Eben sind die Anker gelichtet. Bevor wir den Hafen nicht verlassen haben und auf hoher See sind, ist der Kapitän nicht zu sprechen.”

„Sie sind verrückt!!” heulte Herr Blinck mit überschnappender Stimme. „Glauben Sie, ich mache eine Vergnügungsreise mit Weib, Kind und Amme, um mich in einer Heringstonne mit jedem beliebigen Zeitgenossen einpökeln zu lassen?! Da irren Sie sich! Wenn ich jetzt nicht im Augenblick den Kapitän zu sprechen bekomme, springe ich über Bord —!”

Der Offizier schaute den dicken Herrn in der Korkweste zunächst etwas bestürzt an. Dann aber nickte er verständnisvoll vor sich hin und winkte einigen Matrosen.

„Führt mal den Herrn in die untere Krankenkabine und schließt hinter ihm ab. Gleich werde ich den Arzt nachschicken. Vorwärts!”

— — —

Als das Mißverständnis sich aufklärte, war der Dampfer bereits auf hoher See — — auf sehr hoher See sogar! Gleich nachdem man den Hafen verlassen, hatte eine steife Nordost-Brise eingesetzt. Die Lust-Yacht machte die mutwilligsten Kapriolen und betrieb namentlich das beliebte seitliche Schlingern mit solcher Ausdauer, daß nur ganz wenige Passagiere an Deck geblieben waren. Und diese hatten so sehr mit sich selbst zu tun, daß sie des Mannes mit der Korkweste nict achteten, der soeben aus der Schutzhaft entlassen worden war.

Josef Blinck schwor der Schiffsleitung sämtliche Paragraphen des Reichsstrafgesetzbuches zu. Dann torkelte er eilig unter Deck, um nach der Familie zu sehen und sich im Anblick seiner Lieben von den ausgestandenen Unbillen zu erholen.

Der Anblick war nicht erhebend. Mit einem Schlage wurde Herrn Blinck Zweck und Bedeutung der hoch am Bettpfosten angebrachten emaillierten Näpfe klar. Frau Elfriede bediente sich eines solchen in ausgiebigstem Maße. Die Amme des zweiten Exemplars — nicht minder ausgiebig. Baby äußerte sich in demselben Sinne, nur ohne Napf. Drei Magen hatten umgekrempelt und schienen bereits das Angewachsene hergeben zu wollen. Es war fürchterlich! Noch fürchterlicher aber war die Anklage, welche Frau Elfriede in abgebrochenen Ausrufen gegen ihren Gatten richtete:

„Jetzt kommst du — — oooooh oooaaaaaah — ach du barmherziger Himmel, ich kann nicht mehr — — jetzt kommst Du, wo wir — — oooooh aux — — seit Stunden sterben! Ich habe es ja gleich gemerkt — — huuuuuuaaaaah — — daß es Dir nicht recht war, — daß Du uns die — — aaaaaux — — Vergnügungsreise nicht gegönnt hast! — Du — — hk — — Du überläßt uns einfach diesem qualvollen Tode. Auf andere Menschen ist man angewiesen — oh oooh oooooh du himmlische Güte — ich kann nicht mehr! — — auf den Steward — hk — und auf Deinen Kabinengenossen. Wenn der edle Mensch nicht den Soxhlet her — — aux — — gegeben hätte, wäre Dein Kind schon verhungert. Die Amme ist ja so krank — — und ich — — und — — oooooh aaaaaaaa brrr . . .”

Josef Blinck verließ das Lokal. Teils um Pfeffermünz­plättchen zu holen, die er für ein gutes Mittel gegen Seekrankheit hielt, teils aber auch, weil er plötzlich das Gefühl hatte, als wenn sein Magen mit aller Gewalt sich ihm in den Schlund dränge.

Auf dem Wege nach Nummer 68 begegnete ihm sein Kabinengenosse. Dieser mußte dem Unglücklichen ansehen, wie es um ihn stand. Er bot ihm den Arm und führte ihn. In der Kabine setzte er ihn auf einen der Koffer und wies auf einen der Näpfe.

„Ich werde Sie jetzt allein lassen,” sagte er freundlich. „Das ist in solchen Lagen das beste. Ich möchte nur noch um Entschuldigung bitten wegen meines stürmischen Entrees vom Nachmittag. Hoffentlich verwischt sich der üble Eindruck bald und wir werden gute Freunde. Man ist ja in so engem Raum doch auf einander angewiesen. Mein Name ist Niedermeyer — Benedictus Niedermeyer aus Tetschen.”

Mit einem unartikulierten Laute brach Josef Blinck auf seinem Lager zusammen. Wimmernd versprach er es sich, zu seinem Vergnügen nie mehr zu fahren — höchstens noch aus der Haut, wenn ihm mal jemand von dergleichen reden sollte. Alsdann angelte er fieberhaft nach dem Napfe.

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